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Entschlossenheit und Hingabe

Entschlossenheit und Hingabe-->

Vortrag von Birgit Schönberger,
Rohatsu Sesshin Dezember 2016,
Zen-Kloster Buchenberg

Zwei Mönche begegnen sich auf einer Brücke. Der eine fragt den anderen: Ich habe gehört, dein Meister unterrichtet die Leerheit. Was lernst du denn so bei ihm? Da packt der Mönch den Fragenden beim Kragen, lässt ihn über das Brückengeländer baumeln, lässt ihn fallen, und im allerletzten Moment fängt er ihn wieder auf und sagt „Auf eine gefährliche Frage gibt es eine gefährliche Antwort.“

In gewisser Weise sind wir alle der Mönch, der die kecke und etwas voyeuristische Frage nach der Leerheit stellt. Wir kommen zum Zen mit Fragen, und am sechsten Tag eines Rohatsu sind das vielleicht existenzielle Fragen. Aber so ganz genau wollen wir die Antwort dann lieber doch nicht wissen, vielleicht weil wir tief in uns drin ahnen, dass es im Zen gar keine harmlosen Fragen gibt und logischerweise auch keine harmlosen Antworten.

Weil das Leben selbst keine harmlose Angelegenheit ist. Es geht immer ums Ganze. Was ist Leben? Was ist Tod? Das ist keine harmlose Frage. Und wir haben nicht viel Zeit, sie zu beantworten, denn das Leben in diesem Körper ist verdammt kurz. Ein Flügelschlag. Was ist Leben? Das ist eine gefährliche Frage. Aber noch viel gefährlicher ist es, diese Frage zu vermeiden oder zu verschieben auf irgendwann, wenn wir mal ganz viel Zeit haben, im Urlaub oder wenn wir mal in Rente sind oder wenn die Knieschmerzen endlich aufhören. Wir haben tausend Ausreden.

Dann kann es passieren, dass wir tot sind, ohne vorher zum Leben erwacht zu sein. Dann nehmen wir das Geschenk des Lebens mit ins Grab, unausgepackt. Was für ein Wahnsinn. Deshalb lasst uns keine halben Fragen stellen. Sonst gibt es nur halbe Antworten. Das ist im Dokusan so und auch im Leben. Kein Unterschied. Das ist nicht leicht zu verstehen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich es verstanden habe.

Als ich zum Zen kam, war ich wie der Mönch in der Geschichte. Ich hatte die Haltung: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass. Zeig mir, was Zen ist, das scheint ja ganz interessant zu sein, aber verschone mich mit diesem Gerede von Leerheit und Kensho. Das Wort Kensho hat mich unendlich aufgeregt, man hört es ja oft auf einem Rohatsu. Kensho war für mich eine ungeheure Provokation. Ich habe gesagt: Ohne mich. Und so kam es dann auch, aber anders, als ich mir das vorgestellt hatte. Das Wort war für mich eine Provokation, nicht, weil es mich nicht interessiert hätte, sondern weil ich mir einfach nicht vorstellen konnte, dass so etwas Gewaltiges vorgesehen sein könnte für eine Normalneurotikerin wie mich. Die immer durchs Leben gelaufen ist mit der Überzeugung, ich kann das nicht, ich bin so schwach, das Leben ist so kompliziert, ich werde es nie raffen.

Aber das ist natürlich nur ein Konzept, das ist Verblendung und hat nichts zu tun mit der Wirklichkeit. Da sitzt ja keiner und verteilt Kenshos und sagt du ja, du nein und du auf keinen Fall. Das ist Unsinn, aber so verrücktes Zeug denken wir in unserem verblendeten Kopf. Doch im Zen geht es einzig und allein um die Frage: Bist Du bereit zu sterben? Jetzt hier auf deiner Matte. Ohne Wiedergeburtsgarantie. Bist du bereit zu sterben? Das ist eine knallharte Frage. Ich war dazu nicht bereit.

Aber das Gute auf dem Zenweg ist: Ja, es geht um wilde Entschlossenheit, es braucht den unbedingten Willen und tiefen Wunsch durchzubrechen zur Essenz, das ist unabdingbar. Und gleichzeitig gibt es auch eine Qualität von Kairos, der Zeitpunkt, an dem sich etwas fügt, Hingabe, Loslassen im rechten Moment. Oder eine Qualität von Gnade, so würden es vielleicht die Christen ausdrücken. Und ich hatte das große Glück, dass Zen sich nullkommanull interessiert hat für meine intellektuellen Abwehrspielchen. Zen hat mich ohne Vorwarnung am Schlafittchen gepackt und über die Brüstung geworfen wie den Mönch in der Geschichte. Nur der Teil mit dem Aufgefangen werden in letzter Sekunde hat gefehlt. Ich hatte keine Zeit zu protestieren oder mir eine bequemere Fallroute zu wünschen, weil da niemand mehr war, der etwas hätte wählen können. Game over.

Das ist der harte Rinzai Weg, kristallklar, kompromisslos, wunderbar. Ich bin dafür unendlich dankbar, und es ist ein herausfordernder Weg, nichts für schwache Nerven. Ich bin sehr froh, dass wir beim Daishin Zen sind, denn das bedeutet, es gibt auf dem Weg Oasen, und eine wichtige Oase ist für mich die Erfahrung von Metta. Und auch wenn viele jetzt schon im Bett liegen und selig schlummern und hoffentlich in Liebe, Güte und Freude baden, dann heißt das nicht, dass für Euch, die Ihr jetzt noch eine weitere Nacht durchsitzt, hartes herzloses Sitzen, bis der Arzt kommt, angesagt ist. Im Gegenteil.

Für mich ist es Ausdruck von liebevoller Güte mit Euch selbst, dass Ihr jetzt hier sitzt. Es ist möglich, den Weg zur Bergspitze mit Entschlossenheit zu gehen und mit offenen Herzen. Denn am Ende ist es die Sehnsucht, die Euch hier sitzen lässt. Die Sehnsucht, endlich durchzubrechen zur Essenz, endlich Freiheit zu finden, die Entschlossenheit, durch die Wand zu gehen, um dann zu merken, dass da nie eine Wand war, deshalb sitzt Ihr hier.

Entschlossenheit und Hingabe sind ein wunderbares, kraftvolles Paar für diese Nacht. Bitte werft alles weg, was Ihr gehört oder gelesen habt über die große Befreiung. Vergesst jede Beschreibung. Sie ist ein Hindernis. Es ist jenseits von Worten. Macht Eure eigene Erfahrung, und schmeißt den ganzen Krempel weg. Gib heute Nacht alles, was Du an Entschlossenheit, Kraft und Mut und Power hast. Gib das alles, und lass alles los. Und wenn Zen dich am Schlafittchen packt und über die Brüstung wirft, dann streck die Waffen, dann kapituliere, aber erst dann. Denn das ist Freiheit.

Birgit Schönberger ist Meditationslehrerin des Daishin Zen